Digital Native

gehversuche

IT-Affinität fing früh an

In seinem Lehrstuhl hatte mein Vater Zugang zu den neuesten Geräten und konnte diese auch mit nach Hause bringen. So machte ich noch vor der Einschulung erste Programmierversuche auf einem programmierbaren Taschenrechner TI-59 von Texas Instruments. Die Programme wurden auf kleinen Magnetkarten aufgezeichnet. Auch ein Epson HX-20 Handheld war mal kurz zu Gast. Den sah ich viele Jahre später wieder - im Spionagemuseum in Berlin.

Zu Weihnachten 1984 bekam ich dann den ersten eigenen Computer, einen Sharp PC-1350 Taschencomputer mit 3 KB RAM. Mit einer Speicherkarte, die etwa so groß wie eine Kreditkarte und so dick wie drei bis vier dieser Karten ist, ließ sich dieser Speicher auf 19 KB aufrüsten. Programmiert wurde zunächst in BASIC und, als der Junge aus den Möglichkeiten herauswuchs, in Maschinensprache. Als später ein DIN A4-Plotter hinzukam, konnten als erste tatsächlich produktive Anwendung ansprechende Grafiken zu Papier gebracht werden. Die Mathematik für das Verzerren und Drehen von Objekten ging aber über das Grundschulniveau hinaus und musste von meinem Vater beigesteuert werden.

Ich bin also mit Rechnern aufgewachsen und hatte schon immer eine Affinität dazu. Viel, viel später sollte dafür mal der Begriff "digital native" geprägt werden. Erst mal war es nur ein neues, unbekanntes Syndrom.

pcs

Hinein ins Zeitalter der PCs

1986 kam der erste PC ins Haus, mit DOS und den üblichen 640 KB RAM. Mit einem "Intel Above Board", einer ISA-Karte in voller Länge eines AT-Gehäuses, hätte man das RAM um 16 MB aufrüsten können für Windows. Ende 1989 konnte mit einem 0,3-kBit/s-Akustikkoppler (später einem 2,4-kBit/s-Modem) erstmals Verbindung zur großen weiten Welt der Mailboxen aufgenommen werden. Eine Welt, in der erwachsene Männer sich unanständige Witze erzählten und sich plötzlich wunderten: "Was ist denn jetzt das für ein Geräusch? Ist der Prozessorlüfter kaputt, oder schmiert meine Festplatte gerade ab?" Das Geräusch war mein knirschendes Knochenwachstum. Mehr als 182 cm waren am Ende trotzdem nicht drin.

Ich begriff schon bald, dass der Weg in die Netze keine Einbahnstraße war, sondern auch der Boxhandschuh zurückkommen konnte - in Form von Computerviren. Daher beschaffte ich Software auch schon mal kostspielig aus der Mailbox des Herstellers in den USA und nicht zum Ortstarif aus der örtlichen Mailbox, um wirklich das Original zu bekommen und keine verseuchte Version. Antiviren-Software war immer ein Muss. Viele Jahre später durfte ich einen Hersteller derartiger Software, den ich als Teenager kennen und schätzen gelernt hatte, vor dem Europäischen Patentamt vertreten.

linux

Linux, Internet und Handy

Zum Studienstart im Oktober 1994 gab's den ersten richtigen Internetzugang im Rechnerpool im Rechenzentrum an der RWTH Aachen. Das Web lernte damals erst laufen, und für die meisten sinnvollen Online-Anwendungen (wie Online-Banking, Recherchen in Zeitungsarchiven oder Bestellungen von Bahnfahrkarten) war man auf geschlossene Systeme wie Datex-J (vormals BTX), AOL oder CompuServe angewiesen. Ziemlich bald nach Erhalt meiner ersten E-Mail-Adresse installierte ich PGP und erzeugte mein erstes RSA-Schlüsselpaar. Den Private Key und die Passphrase kriege ich auch heute noch zusammen.

Durch einen Kommilitonen kam ich 1996 nach DOS, OS/2 und Windows 95 beginnend mit Redhat 4.2 zu einem immer größer werdenden Linux-Anteil. Es war zwar fast jeder Erwerb eines neuen Rechners erst einmal mit Überraschungen von der Art verdongelt, dass bestimmte ganz neue Hardware (wie Grafikkarte oder Soundkarte) nicht erkannt wurde und erst durch Bastelarbeit oder gar Zukauf von Treibern wachgeküsst werden konnte. Aber die Möglichkeiten, wie hier ein Zugang von draußen über Modem, waren es mir wert.

Wenn dann Linux schon Netzwerkprotokolle benutzte, um innerhalb des Rechners "Selbstgespräche" zu führen und ein Fenster auf dem Bildschirm anzuzeigen, dann fragte ich mich: "Geht das jetzt nur für mich oder für die ganze Welt?" Die Frage war berechtigt; bei falscher Konfiguration hatte wirklich die ganze Welt Zugang.

1996 schaffte ich übrigens mein erstes Handy an. Dafür bekam ich auf die linke Backe die Kritik aus meinem Umfeld und auf die rechte Backe die gepfefferten Rechnungen.

hackerspace

Chaos Computer Club

Einen Chaostreff gab es in Aachen schon seit 2001, auf offizielle Füße mit einem eigenen e.V. gestellt wurde das Ganze in 2008, und seit 2009 bin ich Mitglied. Das bin ich auch immer noch, wenngleich man mich eher im Chaosdorf in Düsseldorf antrifft. Viele jugendliche digitale Anregungen und viele Aktualisierungen meines digitalen Wissens habe ich im Chaos Computer Club bekommen. So habe ich dort erstmals gesehen, wie jemand ein Objekt auf einem 3D-Drucker hergestellt hat. Auch die Infektionsdosis für den Amateurfunk habe ich mir dort geholt.

Dreh- und Angelpunkt eines solchen Vereins ist natürlich der sogenannte "Hackerspace", in dem man sich austoben kann. Ein Hackerspace ist etwas Ähnliches wie eine Boycave, aber ausgelegt für Treffen vieler Mitglieder, Publikumsverkehr, Arbeit an gemeinsamen Projekten und gemeinsame Nutzung etwa von teuren Geräten oder Werkzeugen, die man nur ab und zu mal braucht und daher nicht zu Hause hat (etwa hochwertiger 3D-Drucker oder Laserschneidgerät). Das Bild zeigt den ersten Hackerspace aus 2009 in der Lothringerstraße 74 in Aachen. Das war ein Ladenlokal in einem kombinierten Wohn- und Geschäftshaus.

dasbeste

Das Beste aus allen Welten

Betriebssysteme und Rechnerarchitekturen habe ich inzwischen schon viele in der Hand gehabt. Und auch wenn jeder Verfechter eines Systems behauptet, seins sei das beste: Wenn man viele verschiedene Sachen macht, gibt es nicht das eine beste System. Man kommt am schnellsten weiter, wenn man das Beste aus allen Welten nimmt, also für jede Aufgabe das, was am besten passt.

Am meisten arbeite ich mittlerweile mit QubesOS, einem speziell auf Sicherheit getrimmten Linux, das zwar etwas Umdenken und Einarbeitungszeit benötigt, aber ein super Filter ist, durch den man unbekannte Inhalte aus dem Internet und neu auszuprobierende Software erst einmal pressen kann. Das Unbekannte wird auf einem frischen virtuellen "Rechner im Rechner" getestet, und wenn es Probleme gibt, dann wird dieser ganze "Rechner im Rechner" einfach eingestampft und in den Müll geschmissen. Fertig.

Ansonsten mache ich die meisten Kreativ-Sachen (Foto, Video etc.) auf Mac mit der Adobe Creative Cloud (Photoshop, Lightroom, Premiere Pro, Audition etc.) und DaVinci Resolve Studio. Letzteres ist ein unglaublich mächtiges Programm, das auch in Hollywood-Studios zum Einsatz kommt, und ich werde wohl kaum die Zeit haben, das Handbuch von mehr als 3.000 Seiten (!) systematisch durchzuackern. Manche Programme zur Unterstützung des Amateurfunks wiederum kommen entweder zuerst für Windows oder gar ausschließlich für Windows heraus - dann wird hierfür eben Windows gestartet.

cockpit

Dies ist nun mein aktuelles digitales Cockpit. Ein großer Gaming-Monitor von Samsung, dessen 3840x1080 Pixel zweimal Full-HD nebeneinander entsprechen. Man kann wahlweise die ganze Fläche aus einer Quelle füttern oder die linke und die rechte Hälfte aus voneinander unabhängigen Quellen. Letzteres geschieht in dieser Momentaufnahme: Links werden gerade 3D-Modelle gerechnet, die demnächst mit dem 3D-Drucker zu Plastik gebracht werden sollen, wobei dieses Rechnen auch nicht in der Boycave selbst passiert, sondern auf einem von Amazon AWS angemieteten Rechner mit 96 vCPUs (c5.24xlarge). Rechts wird ein Video von der letzten Neuland-Kleinkunstveranstaltung auf dem Mac geschnitten.

Besorgen Sie sich eine Aufnahme des Songs "Son of my father" von Chicory Tip und singen Sie dazu mit mir das Lied auf die Digitalisierung:

Jugendliche wollen surfen, zocken und das schnell,
also braucht es Wumms im Kabel oder DSL.
Erst ab 100 MBit kommen große Jungs in Fahrt -
dumm ist, wer als Eltern hier an der Geschwindigkeit spart.

Digitales
zieht die Jugend gnadenlos in ihren Bann.
Digitales
fängt im Kindesalter immer früher an.
Sofern man diese Kosten denn bezahlen kann.

Internetleitungen, Rechenressourcen, sie sprengen die Grenzen, sie öffnen dem Jungen die große weite Welt.
Er ist umgeben vom ständigen Piepen und Klingeln und Funken mobiler Geräte, was Eltern nicht gefällt.
Das monatliche Volumen haut er in zwei Tagen weg.
Dann kommt die Drossel, jetzt braucht er ein WLAN, nen kräftigen Hotspot, der auch noch nichts kostet, hier kennt er jeden Fleck.

Immer öfter heißt es am Computer Weh und Ach,
denn für neue Software ist die alte Hardware zu schwach.
Also mieten wir die Hardware einfach in der Cloud.
Und dann kommt die Rechnung, die den Weg zu Wohlstand verbaut.

Digitales
ist Neuland, denn das gab’s für meine Eltern nicht.
Digitales
bringt mich, wenn ich nicht aufpass, schnell vors Landgericht.
Und es steigert mittelbar mein Jungsgewicht.

Digitales
Transformiert, verändert und erobert mich.
Digitales
Finden meine Eltern häufig fürchterlich.
Aber ich find’s einfach nur schön jugendlich.